Der Verein Klimamitbestimmung kommentiert die Forderung der Letzten Generation nach einem Gesellschaftsrat

Die Letzte Generation hat anlässlich des ersten Jahrestages ihrer Proteste am 24.01.2023 die Bundesregierung aufgefordert, einen zufällig gelosten „Gesellschaftsrat einzusetzen und seine Beschlüsse umzusetzen“. Der verbindliche Gesellschaftsrat solle erarbeiten,  „wie Deutschland bis 2030 Nullemissionen erreichen kann.“

Der Verein Klimamitbestimmung e.V. hat 2020 in einer der bisher erfolgreichsten Bundestagspetitionen den Bundestag zur Einberufung eines bundesweiten Bürgerrates zur Klimapolitik aufgefordert. Vereinsmitglied Enno Rosinger kommentiert die Forderung der Letzten Generation:

Wir teilen die Überzeugung, dass geloste Bürgerräte eine sinnvolle Ergänzung der parlamentarischen Entscheidungsfindung sind – gerade bei den Herausforderungen der Klimatransformation. Das sehen auch diverse wissenschaftliche Beratungsgremien der Bundesregierung und auch die OECD so.

Die Letzte Generation setzt mit ihrer Forderung nach Verbindlichkeit jedoch dann zu hohe Erwartungshaltungen, wenn sie darunter eine politische Selbstverpflichtung zur Umsetzung der Empfehlungen versteht. Dies wäre aktuell verfassungswidrig – auch wenn wir eine Diskussion darüber begrüßen würden. Denn wie genau Demokratie funktionieren sollte – darüber sind sich selbst Fachleute nicht einig.

Unserer Ansicht nach sollen Bürgerräte die gewählte Volksvertretung und Bürgerinnen und Bürgernin einer Zeit wachsender Demokratieverdrossenheitnäher zusammen bringen. Die Erfahrungen des französischen Klimabürgerrats haben gezeigt, dass ein Bürgerrat bei aufgeladenen Fragen vermitteln und mutige Empfehlungen aussprechen kann – aber auch wie wichtig eine passende Erwartungshaltung ist. Um beiderseitigem Frust vorzubeugen, sollten die aktuellen Erwartungshaltungen sich entsprechend auch an den Möglichkeiten der Verfassung orientieren.  Für die kommenden Bürgerräte dieser Legislatur würden wir deshalb fordern: Die Politik sollte die Empfehlungen ernst nehmen und sich vorab verpflichten, jede Entscheidung gegen die zeitnahe Umsetzung einer Maßnahme ausführlich zu begründen. Der Berliner Senat hat mit dem Berliner Klimabürgerrat dafür eine Blaupause geliefert.

Darüber hinaus missinterpretiert die Letzte Generation den Gesellschaftsrat als Vehikel zur Umsetzung ihrer Forderung nach Nullemissionen bis 2030. Bürgerräte müssen ergebnisoffen sein. Sonst könnten die Teilnehmenden die Inhaberschaft über ihre Empfehlungen verlieren und der Bürgerrat als Scheinbeteiligung oder Instrumentalisierung wirken.

Klar ist: Die Transformation unserer Gesellschaft zur Nachhaltigkeit bleibt die größte Aufgabe der lebenden Generationen. Fischsterben, Waldbrände und die fossile Abhängigkeit unseres Wirtschaftssystems von autoritären Regimen haben uns letztes Jahr wieder vor Augen geführt, wie dringend die Krisen sind – und wie wichtig entschlossenes Handeln.

Bürgerräte können hierbei eine Schlüsselrolle einnehmen, weil sie Politik und Gesellschaft Mut machen können, auch kontroverse Themen anzugehen. So lässt sich gleichzeitig Demokratie, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Nachhaltigkeit stärken.

Deswegen begrüßen wir das Vorhaben des Bundestags, in den nächsten Monaten den ersten bundesweiten Bürgerrat einzusetzen, genauso wie die Forderung aus der Klimabewegung nach einem Gesellschaftsrat zum Klimaschutz.

Wir sind überzeugt: Es ist Zeit für einen gesellschaftlichen Mutausbruch in der Klimatransformation. Bundestag und -regierung haben jetzt die Chance, Diesen mit einem Bürgerrat zu entfesseln.“