Die Petition


Knapp 70.000 Menschen forderten im Dezember 2020 mit der Unterzeichnung unserer Bundestagspetition den Bundestag auf, er “möge beschließen, einen bundesweiten Bürger*innenrat zur Klimapolitik einzuberufen.” Unsere Petition zählt damit zu den zwanzig meistgezeichneten Bundestagspetitionen seit Bestehen des Petitionsportals.  Im Januar 2021 vertraten unsere Mitglieder Enno Rosinger und Philipp Verpoort in einer öffentlichen Anhörung die Petition im Petitionsausschuss des Bundestags. Seitdem liegt die Petition dort in der Prüfung und eine abschließende Entscheidung des Ausschusses steht nach wie vor aus. Wir haben uns die Abschlussworte des Ausschussvorsitzenden Marian Wendt (CDU) – „Machen Sie weiter so!“  – natürlich zu Herzen genommen und weitergemacht. Wie genau – das erzählt dieser Text.

Die Hintergründe


Leitmotiv unserer Gründung war die Überzeugung, dass die drängenden ökologischen Krisen, Demokratieverdrossenheit und soziale Polarisierung zusammengedacht werden müssen und in Bürger:innenräten sahen wir ein Instrument, dass dem gerecht wird.

Damit Bürger:innenräte aber auch tatsächlich ihre Potenziale zur Stärkung von Demokratie, gesellschaftlichem Zusammenhalt und Klimaschutz entfalten können, haben wir schon früh gesagt: Bürger:innenräte brauchen eine politische Einbindung und eine breite gesellschaftliche Unterstützung. Nur so können die Beratungen der ausgelosten Teilnehmenden den kleinen Kreis des Bürger:innenrates verlassen und in Gesellschaft und Politik hineinwirken.

Die Petition war für uns ein wichtiges Vehikel, um die Forderung nach solchen Bürger:innenräten an die Politik zu richten und gleichzeitig in der Bevölkerung Bewusstsein und Verständnis für das Instrument zu schaffen. Unsere Petitionskampagne war – nach dem erfolgreichen ersten zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerrat Demokratie Ende 2019 – die erste öffentlichkeitswirksame Aufklärungskampagne über Bürger:innenräte in Deutschland. Über 100 Sekundenvideos, Pressemitteilungen und die Mobilisierung in sozialen Medien haben wir die Mammutaufgabe vollbracht, Bürger:innen über das bis dahin weitgehend unbekannte Instrument zu informieren und sie dafür zu gewinnen. Das ist uns bis Dezember 2020 bei mindestens 69.863 Menschengelungen.

Parallel zur Petition hatten wir mit unseren Partnerorganisationen des Netzwerks Klimabürgerrat einen offenen Brief an den Umweltausschuss verfasst, den bis zur Übergabe im November 2020 knapp 180 Organisationen mitgezeichnet hatten. Ende 2020  – circa ein Jahr nach unserer Gründung – war die Forderung nach einem Klimabürger:innenrat also in der Bundespolitik und weiten Teilen der Öffentlichkeit angekommen.

Erstes Halbjahr 2021: Die politischen Türen öffnen sich & der Bürgerrat Klima


Die Petition hat Klimamitbestimmung e.V. als politisches Start-Up den notwendigen Rückenwind und die Relevanz gebracht, um mit der Bundespolitik ins Gespräch zu kommen. Nach der Anhörung im Petitionsausschuss ging es rund: In Gesprächen mit Fachpolitiker:innen, Fraktionsvorsitzenden und parlamentarischen Geschäftsführer:innen aller demokratischen Parteien haben wir Überzeugungsarbeit geleistet und einen gegenseitigen Lernprozess angestoßen. Die meisten Abgeordneten waren Anfang 2021 mit dem Instrument nur wenig vertraut. Heute – eineinhalb Jahre später – ist das nun anders.

Eine schnelle Erkenntnis der Gespräche war: Ein politisch einberufener Bürger:innenrat zur Klimapolitik ist  vor der Bundestagswahl nicht realistisch. Diese Erkenntnis hatten auch die Scientists for Future, die von unserer Petition inspiriert und auf diese Bezug nehmend in einer Stellungnahme empfahlen, noch vor der Wahl einen Klimabürger:innenrat zivilgesellschaftlich durchzuführen.

Die Organisation dieses Bürgerrat Klima begann noch im Januar 2021 und wir wurden Teil des Unterstützungskreises. Allerdings haben wir schon sehr früh klargestellt: Der Bürgerrat Klima wird seine Potenziale zur Stärkung von Demokratie, gesellschaftlichem Zusammenhalt und Klimaschutz nicht vollständig entwickeln können, wenn ihm die politische Einbindung und die breite gesellschaftliche Bekanntheit und Unterstützung fehlen. Für uns war er daher ein wichtiges Pilotprojekt und Meilenstein – allerdings noch nicht das Ziel unserer Mission. Mittlerweile ist der Bürgerrat Klima offiziell abgeschlossen — ein beeindruckendes Projekt, das dem Instrument Bürger:innenrat zu weiterer Aufmerksamkeit und Unterstützung verholfen hat.

Wir haben durch diesen Prozess Einiges gelernt: Wir brauchen nach diesem Bürgerrat Klima keinen zweiten Klimabürger:innenrat, der versucht in einem Rundumschlag alle Klimaprobleme zu lösen. Denn in der Form, wie es behandelt wurde, war das Thema zu weit gefasst. Dadurch blieb wenig Zeit für tiefe Diskussionen und durch die Aufteilung der Teilnehmenden in thematische Kleingruppen waren Verknüpfungen zwischen den Themenbereichen schwierig. Schließlich ist es wichtig, dass sich Politiker:innen ressortübergreifend – d.h. über den Klimaausschuss oder das Umweltministerium hinaus – mit den Empfehlungen befassen. Nur so können sie auch in alle betroffenen Gesetzesvorhaben einfließen.

Bundestagswahl: Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen


Wir haben uns parallel zum Bürgerrat Klima deshalb im Sommer & Herbst 2021 bereits auf die nächste Legislaturperiode vorbereitet.

Zwar ist uns schon seit Gründung von Klimamitbestimmung klar, dass es neben der Klimakrise mindestens noch eine weitere existenzielle ökologische Krise gibt: das Artensterben (siehe Modell der Planetaren Grenzen). Hatten wir uns zu Beginn unserer Arbeit wegen des Zeitdrucks der endenden Legislatur noch auf die Klimadimension fokussiert, weitete sich im Laufe des Jahres 2021 mit unserem zeitlichen Horizont auch unsere inhaltliche Arbeit. Dem wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung folgend trat an die Stelle des Umbaus zur Klimaneutralität die Große Transformation zur Nachhaltigkeit, also die Rückkehr unserer Gesellschaft in den sicheren Operationsrahmen der planetaren Grenzen

Von nun an hieß es: Wir setzen uns für die Einbindung politisch einberufener und öffentlichkeitswirksamer Bürger:innenräte in der Nachhaltigkeitstransformation ein. Um unser Anliegen für diese Legislatur auf den Tisch zu bringen, haben wir die Parteien in Wahlprüfsteinen zu ihren Haltungen zu Bürger:innenräten und ihrer Einbindung in der Nachhaltigkeitstransformation befragt und Politikpapiere für Wahlkampf und Koalitionsverhandlungen geschrieben. Zusammen mit unseren Partnerorganisationen wie Mehr Demokratie e.V. konnten wir zum Ende der Koalitionsverhandlungen einen riesigen Erfolg feiern: Die Ampelkoalition hatte im Koalitionsvertrag vereinbart:

„Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren. Dabei werden wir auf gleichberechtigte Teilhabe achten. Eine Befassung des Bundestages mit den Ergebnissen wird sichergestellt”.

Koalitionsvertrag der Ampelregierung 2021

Die neue Legislatur


Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage: Wie können wir dazu beitragen, dass die angekündigten Bürger:innenräte in dieser Legislatur ihre Potenziale zur Stärkung von Demokratie, gesellschaftlichem Zusammenhalt und der Nachhaltigkeitstransformation ausschöpfen?

Daraus ergaben sich für uns zunächst zwei Unterstränge: Zum einen die Frage, wie die Bürger:innenräte diese Legislatur institutionell eingebunden werden sollten. Unter Federführung von Mehr Demokratie e.V. haben wir dafür mit Partnerorganisationen an einem Empfehlungspapier für den Bundestag gearbeitet.

Zum anderen blieb offen, zu welchen Themen die Bürger:innenräte einberufen werden sollten. Dafür führten wir im Auftrag des Knowledge Networks on Climate Assemblies (KNOCA) und finanziert durch die European Climate Foundation eine Studie durch, um Leitprinzipien geeigneter Bürgerratsfragen herauszuarbeiten. In Interviews mit führenden Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Bereichen der Nachhaltigkeitsforschung in Deutschland wandten wir diesen Prinzipienkatalog auf die aktuelle Situation hierzulande an und empfahlen im Juni dem Bundestag die drei Themenfelder Ernährung, Verkehr und Gebäude für mögliche Bürger:innenräte. Gleichzeitig rieten wir, die genaue Festlegung der Fragestellung sowie der darunter zu fassenden Unterthemen einem Expertengremium zu übertragen.

Zweites Halbjahr 2022: Wie geht es weiter?


Seit dem Ende der Sommerpause berät der Petitionsausschuss über das weitere Verfahren mit unserer Petition und der Bundestag wird die Durchführung mehrerer Bürger:innenräte beschließen.

Unserer Ansicht nach sollen Bürger:innenräte dazu beitragen, die Bande zwischen unserer gewählten Volksvertretung und den Bürgerinnen und Bürgern in einer Zeit wachsender Politikverdrossenheit enger zu knüpfen. Im Instrumentenkasten demokratischer Mitbestimmung auf Bundesebene in Deutschland befinden sich nun neben Wahlen und Petitionen bald auch die gelosten, deliberativen Bürger:innenräte.

Wir finden: Es wäre ein wichtiges Signal für die Stärkung unserer Demokratie, wenn die Parteien der Ampelkoalition bei der Themensetzung der Bürger:innenräte die bisher verfügbaren formalen Wege der Mitbestimmung – also unsere Bundestagspetition sowie die ihre Ankündigungen der Parteien in unseren Wahlprüfsteinen – berücksichtigten. Das heißt: Der Bundestag sollte als erstes einen Bürger:innenrat zur einem drängenden Thema in der Nachhaltigkeitstransformation einberufen, eine Befassung mit den Ergebnissen sicherstellen und den gesamten Prozess öffentlichkeitswirksam begleiten lassen.

Damit das passiert, bleiben wir dran.

Klimamitbestimmung e.V.